Aus der Alternswissenschaft, der Gerontologie, weiß man um den Einfluss der Lebensgeschichte für den Menschen. So ist der Lebensrückblick sehr wichtig, um im Alter das Leben als gelungen und sinnvoll ansehen zu können. Es ist besonders wichtig, die gemeinsam durchlebte Zeit mit gleichaltrigen Menschen auszutauschen. Diese werden jedoch im Alter immer weniger und gewinnen an Bedeutung.
Für die Arbeit mit älteren und pflegebedürftigen Menschen braucht man Wissen über Zeitgeschichte und über die Lebensgeschichte, die jeweils einzigartig und unverwechselbar ist.
Wissen über die Lebensgeschichte bedeutet auch die Werte eines Menschen besser zu verstehen: z. B. die Sonntagskleidung oder „ja nichts wegwerfen“ und sparsam sein oder die Aussteuer einer Frau bedeutet etwas zu besitzen.
Manche alten Menschen leiden an Demenzerkrankungen in deren Vordergrund das Symptom des Vergessens steht. Für diese Menschen ist der Alltag von Verlust des aktuellen Gedächtnisses gekennzeichnet. Diese Kranken erinnern sich jedoch meist an die Vergangenheit: Sie sehen und fühlen Bilder ihres Dorfes oder ihrer Stadt wie es früher war und können davon erzählen. Sie können lange Gedichte auswendig und alle Lieder des Gesangbuches singen. Erlernte Arbeitsabläufe sind ihnen vertraut und sie können danach handeln.
Professionell Pflegende erarbeiten sich Wissen über die vorhandenen Kompetenzen des alten Menschen und stärken diese Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dies führt zu Sinnstiftung, Sicherheit und Stärkung der Identität. Bedürfnissignale und Wünsche werden verständlich und die professionell Pflegenden können für den pflegebedürftigen Menschen vermitteln oder in seinem Sinne handeln.
Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Biographiearbeit wird im Beziehungsprozess eine Vertrauensbasis geschaffen. Notwendig ist hier Diskretion und Feingefühl. Die Informationen werden über verschiedene Quellen erfasst: der alte Mensch, die Angehörigen, das Umfeld, der zeitgeschichtliche Hintergrund, verschiedenste Fundstücke wie etwa Fotos und Schriftstücke. Die Informationen werden im Rahmen verschiedenster Pflegekonzepte und Pflegesituationen genutzt. Hier seien als Stichworte genannt: Kommunikation, Orientierungshilfen, Basale Stimulation, Freizeitgestaltung, Umgang mit herausforderndem Verhalten usw.
Lebensgeschichte kennen heißt immer im Wandel der Geschichte bleiben. Gestern waren es die Alten die noch Kaiserzeit und Weimarer Republik und die Weltkriege erlebten. Nun sind schon die Kriegs- und Nachkriegsgeneration die Alten. Dann werden es die Gastarbeiter, die Wohlstandsdeutschen, die 68er und irgendwann die heutigen Generationen sein auf deren Leben wir blicken.
Lebensgeschichte verstehen trägt bei zum Verständnis von älteren Menschen und fördert die Begegnung der Generationen. Die Biographie und die Lebenserfahrung der älteren Menschen erweitern nicht nur das Bild, das wir von ihm haben, sondern auch unser Bild von uns selbst.
Michael Schneider, Diplom-Pflegepädagoge (FH) i. R.
(Literatur auf Nachfrage)