Wissenschaft? …mir zu kompliziert!
Wissenschaft ist oft für viele Menschen ein Buch mit sieben Siegeln. Zu abgehoben, zu abstrakt. Andererseits basiert das für uns als selbstverständlich erachtete moderne Leben auf genau jener als zu abgehoben bezeichneten Wissenschaft.
Ohne die Entwicklung eines Verbrennungsmotors gäbe es keine Kraftfahrzeuge, ohne chemische oder biologische Forschung keine Medikamente, ohne Geistes- und Sozialwissenschaften keine pädagogischen Erkenntnisse, ohne Philosophie keine ethischen Werte. Die Liste ließe sich noch (fast) unendlich fortsetzen. Selbst der oft vernommene Vorwurf, Wissenschaft sei unpragmatisch, läuft angesichts all der für uns schon selbstverständlichen Errungenschaften bei näherer Betrachtung schnell ins Leere.
Wissenschaft jetzt auch noch in der Pflege?
Vielleicht liegt es daran, dass die Umsetzung theoretisch gewonnener Erkenntnisse in die Praxis oft mit einer enormen zeitlichen Verzögerung verbunden ist und diese für eine verzerrte Wahrnehmung sorgt oder es liegt schlicht an der Tatsache, dass komplexe Sachverhalte nicht allgemeinverständlich kommuniziert werden können. Während beispielsweise in der Medizin Forschung und Entwicklung als Selbstverständlichkeiten angesehen werden, ist das im Fall der Pflege noch lange nicht so. Trotzdem macht aber Entwicklung auch vor Pflege nicht halt. Insbesondere die Frage nach der Wirksamkeit einer entsprechenden Pflege steht dabei im Raum. Alles was seit Jahrhunderten teilweise schon immer in der Pflege angewandt wurde, muss nicht zwangsweise auch effektiv oder effizient sein, es kann. Gerade deshalb ist zum einen eine Überprüfung pflegerischer Handlungen, sowohl der althergebrachten als auch neuerer Pflegetechniken immens wichtig. Diese Überprüfung muss allerdings wissenschaftlichen Kriterien genügen, so z. B. der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit. Pflegehandlungen können sowohl quantitativ als auch qualitativ untersucht werden. Im Vordergrund steht dabei zunächst die Absicht, die Wirksamkeit pflegerischer Handlungen nachzuprüfen. Daneben geht es in der Pflegeforschung darum, neue innovative Pflegetechniken zu etablieren. „Pflegeforschung ist ein wesentlicher Aspekt der pflegewissenschaftlichen Entwicklung, der Weiterentwicklung der Pflegequalität und der Professionalisierung der Pflege. Mit Hilfe der Pflegeforschung kann das bestehende Pflegewissen auf seine Gültigkeit geprüft und erweitert werden“ (Selinger, Y., 2009, S. 2).
Praxis und Theorie… zwei Seiten einer Medaille.
“Das grundlegende Ziel der Pflegeforschung ist die Erzeugung einer empirischen Wissensbasis, um die Praxis anzuleiten“(Burns, N. & Grove, S. K., S. 3). Zunehmend emanzipiert sich Pflege vom Image als „Stiefkind der Medizin“. Dies wird auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen.
Wenn Sie eine Blinddarmentzündung haben, möchten Sie sicherlich auch nicht, dass ihr Arzt Ihnen mit einer mittelalterlichen „Gartenschere“ den Bauch öffnet. Heute würde sicherlich auch kein Kraftfahrzeugmechatroniker bei einer Motorpanne gleich den ganzen Motor auseinander nehmen, sondern zunächst mit einem Diagnosegerät versuchen die Ursache des Schadens zu ermitteln. Deshalb muss es in der Pflege auch verbindliche Standards geben, deren Gebrauch wissenschaftlich abgesichert und verifiziert wird.
Was bringt mir das für die Praxis?
Die Altenpflegeschule ist daher bemüht, ihren Schülerinnen und Schülern ein wissenschaftlich fundiertes Wissen näher zu bringen und ihnen zu ermöglichen, pragmatische Lösungen mit Hilfe pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse selbständig zu entwickeln. Im Lernfeld 1.1.4 „Einführung in wissenschaftliche Arbeitsweisen, Schritte des Forschungsprozesses …“ und der daran gekoppelten Unterrichtseinheit werden die Altenpflegeschüler an die Vorgehensweise wissenschaftlichen Handelns im Pflegebereich schrittweise herangeführt. Die Altenpflegeschüler können hier nach dem „Sesamstraßenprinzip“: „Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt dumm“, innerhalb eines Lernforschungsprojekts eigenständig Fragen entwickeln zu Themen oder Problemen, die ihnen so oder ähnlich schon in der Praxis begegnet sind und unter professioneller An- und Begleitung durch entsprechende Lehrkräfte Erfahrungen sammeln zum gesamten Forschungsprozess (vgl. Selinger, 2009, S. 3-5). Dies soll ihnen für die berufliche Zukunft ermöglichen, fachwissenschaftliche Studien im Pflegebereich qualitativ besser beurteilen zu können und dadurch deren Praxisrelevanz anhand wissenschaftlicher Kriterien zu beurteilen. Im Mittelpunkt steht dabei der Theorie-Praxistransfer, pflegewissenschaftliche Erkenntnisse sind dabei nicht länger trockener Boden, sondern werden von der Praxis bewässert und umgekehrt. Die konsequente Umsetzung Handlungsorientierten Unterrichts ermöglicht somit einen praktischen Zugang zur Pflegewissenschaft. Hauptaugenmerk ist also eine praktisch erfahrbare Wissenschaft die einen wichtigen Beitrag für pflegerisches Handeln leistet.
Henning Hartmann (Hauptamtlicher Dozent)
Literatur
Burns, N. & Grove, S. K. (2005): Pflegeforschung verstehen und anwenden. Elsevier GmbH, München.
Selinger, Y., (2009): Pflegeforschung und „Forschungsorientiertes Lernen“. In: Unterricht Pflege 3/2009. Prodos – Verlag. Brake.
Henning Hartmann (Hauptamtlicher Dozent, Bildungswissenschaftler B. A.)